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Fossil des Jahres 2021

(Text: Philipp Knaus)
 
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Fotografie des Bonner Scaphognathus. Fotograf: Georg Oleschinski.


Mit dem Flugsaurier Scaphognathus crassirostris, auch als "Dickschnabel" bekannt, fing vor 180 Jahren der Siegeszug der „Paläo-Art“ und der Paläobiologie an.
 
Der Bonner Professor für Zoologie und Paläontologie, Georg August Goldfuß (1782-1848), machte anhand dieses Fossils in einer epochalen Veröffentlichung von 1831 einen entscheidenden Schritt. Nicht allein, dass er das Skelett sowie die mit ihm erhaltenen Weichteile beschrieb und daraus die Lebensweise des Sauriers folgerte. Mehr noch fügte er seiner Publikation als erster Forscher eine Abbildung von Flugsauriern als lebende Tiere in ihrem Habitat bei. Derartige sogenannte Lebendrekonstruktionen wurden zeitgleich auch in England angefertigt, aber den karikaturartigen englischen Illustrationen fehlte die wissenschaftliche Begründung. Goldfuß gebührt also der Ruhm, als erster einen Saurier "zum Leben erweckt" zu haben.
 
Paläo-Art hat es heute mit Filmen wie der „Jurassic Park“-Reihe bis in die Massenmedien geschafft. Sie inspiriert Jung und Alt, sich näher mit der Wissenschaft vom erdgeschichtlichen Leben auseinanderzusetzen. Die Paläontologische Gesellschaft hat Scaphognathus crassirostris

nun zum Fossil des Jahres 2021 gewählt.

 

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Lithographie aus der Erstbeschreibung des Scaphognathus. Zeichnung: Christian Hohe


Fundorte und Alter

Von dieser seltenen Flugsaurier-Art kennt die Wissenschaft nur drei Exemplare. Sie stammen aus den lithographischen Schiefern des Oberjura auf der Fränkischen Alb, aus der Gegend um Solnhofen und Eichstätt, und sind etwa 150 Millionen Jahre alt.
 

Ausstellungsorte

Das Skelett der Erstbeschreibung bewahrte Georg August Goldfuß im damaligen Naturkundemuseum der Universität Bonn auf. Die Fossiliensammlung dieses Museums trägt heute seinen Namen und feiert als Goldfuß-Museum ihr 200-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass präsentiert sich das Fossil nach mehreren Ausleihen erstmals wieder in der Ausstellung.
 
Die beiden anderen Originalfossilien von Scaphognathus crassirostris

werden im Museum am Löwentor in Stuttgart sowie im Fossilien- und Steindruck-Museum in Gunzenhausen aufbewahrt. Kopien des Bonner Exemplars versandte Goldfuß aber schon im 19. Jahrhundert an zahlreiche Museen in Europa. Selbst in die Dauerausstellung des Texas Memorial Museum in Austin, Texas, fand der "Dickschnabel" seinen Weg.

 

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Porträt-Lithographie von Georg August Goldfuß. Zeichnung: Christian Hohe



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Historische Rekonstruktion von Scaphognathus in seinem Lebensraum aus dem Jahr 1831. Zeichnung: Christian Hohe

 

Meilensteine der Paläontologie

Goldfuß hatte das Fossil eingehend untersucht, nachdem er es selbst präpariert hatte. Er entdeckte um das Skelett herum eine Art Behaarung und beschrieb, wie sehr sich der ausgestorbene Körperbau von allen heutigen Tieren unterscheidet. Trotzdem entwickelte er eine Vorstellung von der Lebensweise des Flugsauriers als aktivem Flieger. Er ließ den Universitäts-Zeichenlehrer Christian Hohe das Tier in mehreren Lithografien abbilden. Die Illustration von zwei Scaphognathus-Exemplaren mit Haut und Haar, einer im Flug, ein anderer an einer Klippe hängend, brachte Goldfuß‘ Theorien zur Lebensweise des Tieres eindrucksvoll zur Geltung. Von da an begann die Forschung, Darstellungen von lebendigen Sauriern ernst zu nehmen und wissenschaftlich zu nutzen. Rekonstruktionen von Fossilien als lebende Organismen sind heute als sogenannte „Paläo-Art“ in der Forschung und in vielen Medien verbreitet. Sie begeistern zahlreiche Menschen und haben stark zur Verbreitung von Forschungswissen über Fossilien beigetragen. Die Ursprünge heutiger Saurier-Filme, -Cartoons, und -Figuren gehen also maßgeblich auf dieses Bonner Fossil und seine wissenschaftliche Interpretation zurück.

 

Warmblütiger Flieger

Scaphognathus crassirostris war der erste Flugsaurier, bei dem eine Art Behaarung festgestellt wurde. Goldfuß beschrieb sie schon 1831 im Nackenbereich und auf der Flughaut. Das waren aber keine Haare, wie wir sie haben, weshalb die aktuelle Forschung sie „Pycnofasern“ nennt. Die Körperbedeckung deutet darauf hin, dass die Flugsaurier genau wie Vögel und Säugetiere Warmblüter waren. Das passt ins Bild, denn Flugsaurier wie Scaphognathus

waren die ersten aktiven Flieger unter den Wirbeltieren, und aktiver Flug ist ohne Warmblütigkeit nicht denkbar. Anders als die Vögel flogen sie dabei nicht mit Federn, sondern hoben sich mit einer Flughaut in die Luft, die nur am „Ringfinger“ aufgespannt war. Auf dem Exemplar in Bonn sind Überreste der Flughaut bis ins kleinste Detail erhalten. Dass sich der aktive Flug bei Flugsauriern, Fledermäusen und Vögeln ohne engere Verwandtschaft unabhängig entwickelt hat, ist ein Paradebeispiel für konvergente Evolution.

Für einen Flugsaurier seiner Spannweite von ca. 90 cm hat Scaphognathus crassirostris einen besonders großen Schädel mit starken Kiefern, woher der Name „Dickschnabel“ rührt.

 

Streit unter Wissenschaftlern?

Wenn Theorien sich widersprechen, wird das gerne als Streit unter WissenschaftlerInnen dargestellt. Es ist aber Teil des wissenschaftlichen Fortschritts, dass im Lichte neuer Erkenntnisse bestehende Annahmen korrigiert werden müssen. So ist es auch mit der ursprünglichen Studie von 1831 geschehen. Nachdem Goldfuß’ ZeitgenossInnen seine Beschreibung einer Art Mähne an dem Fossil akzeptierten, zweifelten PaläontologInnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch seine Erkenntnisse vehement als unwissenschaftlich an. Verwandtschaftlich stellte sich immer klarer heraus, dass die Flugsaurier eindeutig zu den sonst unbehaarten Reptilien zählen. Bei Entdeckungen von weiteren behaarten Flugsauriern Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Untersuchungen von Goldfuß bereits in Vergessenheit geraten. Obwohl sich solche Funde in den folgenden Jahrzehnten mehrten, wurde das Bild der behaarten, warmblütigen Flugsaurier erst im neuen Jahrtausend allgemein anerkannt.
 

Neue Methoden der digitalen Fotografie machten 2018 eine Neuuntersuchung möglich. Am Bonner Fossil lassen sich eindeutig Weichteilerhaltung und Pycnofasern nachweisen. Damit muss auch die Wissenschaftsgeschichte korrigiert werden. Goldfuß wird heute unangefochten als Pionier der paläobiologischen Forschung und wissenschaftlichen Paläo-Art anerkannt.

 

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UV-Licht zeigt die Weichteilerhaltung als hellgrünen Schimmer. Quelle: Jäger et al. (2018, Palaeontologia Electronica)

 

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