Fossil des Jahres 2021

nun zum Fossil des Jahres 2021 gewählt.
Lithographie aus der Erstbeschreibung des Scaphognathus. Zeichnung: Christian Hohe
Fundorte und Alter
Ausstellungsorte
werden im Museum am Löwentor in Stuttgart sowie im Fossilien- und Steindruck-Museum in Gunzenhausen aufbewahrt. Kopien des Bonner Exemplars versandte Goldfuß aber schon im 19. Jahrhundert an zahlreiche Museen in Europa. Selbst in die Dauerausstellung des Texas Memorial Museum in Austin, Texas, fand der "Dickschnabel" seinen Weg.
Porträt-Lithographie von Georg August Goldfuß. Zeichnung: Christian Hohe
Historische Rekonstruktion von Scaphognathus in seinem Lebensraum aus dem Jahr 1831. Zeichnung: Christian Hohe
Meilensteine der Paläontologie
Goldfuß hatte das Fossil eingehend untersucht, nachdem er es selbst präpariert hatte. Er entdeckte um das Skelett herum eine Art Behaarung und beschrieb, wie sehr sich der ausgestorbene Körperbau von allen heutigen Tieren unterscheidet. Trotzdem entwickelte er eine Vorstellung von der Lebensweise des Flugsauriers als aktivem Flieger. Er ließ den Universitäts-Zeichenlehrer Christian Hohe das Tier in mehreren Lithografien abbilden. Die Illustration von zwei Scaphognathus-Exemplaren mit Haut und Haar, einer im Flug, ein anderer an einer Klippe hängend, brachte Goldfuß‘ Theorien zur Lebensweise des Tieres eindrucksvoll zur Geltung. Von da an begann die Forschung, Darstellungen von lebendigen Sauriern ernst zu nehmen und wissenschaftlich zu nutzen. Rekonstruktionen von Fossilien als lebende Organismen sind heute als sogenannte „Paläo-Art“ in der Forschung und in vielen Medien verbreitet. Sie begeistern zahlreiche Menschen und haben stark zur Verbreitung von Forschungswissen über Fossilien beigetragen. Die Ursprünge heutiger Saurier-Filme, -Cartoons, und -Figuren gehen also maßgeblich auf dieses Bonner Fossil und seine wissenschaftliche Interpretation zurück.
Warmblütiger Flieger
Scaphognathus crassirostris war der erste Flugsaurier, bei dem eine Art Behaarung festgestellt wurde. Goldfuß beschrieb sie schon 1831 im Nackenbereich und auf der Flughaut. Das waren aber keine Haare, wie wir sie haben, weshalb die aktuelle Forschung sie „Pycnofasern“ nennt. Die Körperbedeckung deutet darauf hin, dass die Flugsaurier genau wie Vögel und Säugetiere Warmblüter waren. Das passt ins Bild, denn Flugsaurier wie Scaphognathuswaren die ersten aktiven Flieger unter den Wirbeltieren, und aktiver Flug ist ohne Warmblütigkeit nicht denkbar. Anders als die Vögel flogen sie dabei nicht mit Federn, sondern hoben sich mit einer Flughaut in die Luft, die nur am „Ringfinger“ aufgespannt war. Auf dem Exemplar in Bonn sind Überreste der Flughaut bis ins kleinste Detail erhalten. Dass sich der aktive Flug bei Flugsauriern, Fledermäusen und Vögeln ohne engere Verwandtschaft unabhängig entwickelt hat, ist ein Paradebeispiel für konvergente Evolution.
Für einen Flugsaurier seiner Spannweite von ca. 90 cm hat Scaphognathus crassirostris einen besonders großen Schädel mit starken Kiefern, woher der Name „Dickschnabel“ rührt.
Streit unter Wissenschaftlern?
Neue Methoden der digitalen Fotografie machten 2018 eine Neuuntersuchung möglich. Am Bonner Fossil lassen sich eindeutig Weichteilerhaltung und Pycnofasern nachweisen. Damit muss auch die Wissenschaftsgeschichte korrigiert werden. Goldfuß wird heute unangefochten als Pionier der paläobiologischen Forschung und wissenschaftlichen Paläo-Art anerkannt.
UV-Licht zeigt die Weichteilerhaltung als hellgrünen Schimmer. Quelle: Jäger et al. (2018, Palaeontologia Electronica)