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Riesige Schatten in den spättriassischen Meeren Europas - Paläontologische Masterarbeit der Uni Bonn

Im Rahmen seiner Abschlussarbeit reiste der Masterstudent, Marcello Perillo, vor einem Jahr nach Großbritannien und sammelte dort Proben und neue Erkenntnisse über riesige Fischsaurier, die die Paläontologen Europas seit mehr als 140 Jahren rätseln lassen. In diesem Jahr hatte er dort, nach der Abgabe seiner Masterarbeit an der Uni Bonn, eine weitere Mission und unternahm vom 10. - 17. Oktober 2022 eine tiefgreifendere Reise in das Vereinigte Königreich und seine fossilen Welten der Ichthyosaurier.

Die Paläontologie ist eine Wissenschaft, die die Geologie und Biologie gleichermaßen schneidet. Wer sich also für das Studieren urzeitlicher Lebewesen interessiert, versucht stets die Wissenschaften der Gesteine und irdischen Prozesse und die Wissenschaft des Lebens und seiner ökologischen Verbände unter einen Hut zu bringen. Die meisten Paläontologen fangen daher als Geologen oder Biologen an und vertiefen sich dann im Laufe ihrer Ausbildung in Richtung der Paläontologie. An der Uni Bonn kann eine solche Karriere als Paläontologe während des Masters eingeschlagen werden. Ein Studiengang ist der „OEP“ mit Abschluss als „Master of Science“. Der zweijährige Studiengang vereint dabei drei wichtige Teilgebiete der Biologie und wendet sie in der Paläontologie an: Die Organismische Biologie, die Evolutionsbiologie und die Paläobiologie – daher auch die Abkürzung.

Marcello Perillo studiert seit zwei Jahren im OEP und hat sich innerhalb der Wirbeltierpaläontlogie auf marine Reptilien der Trias- und Jura-Zeit fokussiert. Mit seinem Bachelorabschluss in Naturwissenschaften, den er in seiner Heimatstadt an der Universitetà di Bologna in Norditalien erwarb, entschloss er sich, dass einem weiteren Werdegang als Paläontologe praktisch nichts mehr im Wege stand. „Ich habe mich immer für die Paläontologie interessiert. Dabei waren meine Interessengebiete aber gar nicht so stark auf diese oder jene Tiere oder Pflanzen begrenzt. Das große Ganze – die Ökosysteme und die Evolution – hat mich einfach begeistert“, fasst der nun 25-Jährige zusammen. Nachdem er sich entschieden hatte, dass es an der Universität Bonn spannende Angebote und Themen zu untersuchen gibt, schrieb er sich ein. Vor einigen Monaten reichte Perillo dann seine Masterarbeit mit dem Titel „Riesige Schatten in den spättriassischen Meeren“ ein. In dieser beschäftigt er sich mit der Histologie, also der Analyse von Knochenstrukturen, sogenannter „riesiger Ichthyosaurier“. Diese sind keine Art oder Gattung, wie die Gallapagos-Riesenschildkröte oder ein Riesenschnauzer zum Beispiel, sondern ein Sammelbegriff für ungewöhnlich große Ichthyosaurier. Sie haben eine lange Forschungsgeschichte hinter sich, die immer noch nicht abgeschlossen werden konnte und auf welche ein besonderes Augenmerk an der Universität Bonn gerichtet wird.

Vor einem Jahr ist Marcello Perillo das erste Mal nach England gereist, um die Untersuchungsobjekte seiner Masterarbeit zu studieren. Darunter waren vor allem die Unterkiefer solcher riesiger Ichthyosaurier aus dem Rhaetium, einer zeitlichen Stufe der obersten Trias, vor 208,5 bis 201,3 Millionen Jahren. Vorteilhaft ist dabei, dass diese Schichten nicht nur in England gut erhalten sind, sondern an vielen anderen Orten Europas, wie in Frankreich, Belgien und auch in Deutschland. Das macht das Arbeiten mit solchen Funden aufschlussreicher und die Forschungsergebnisse sind repräsentativer.

Warum Ichthyosaurier verhältnismäßig häufig in europäischen Schichten aus dieser Zeit auftreten, liegt an den damaligen Veränderungen, die vor allem den Meeresspiegel betrafen. Zu Beginn der mittleren Trias stieg dieser nämlich so an, dass fast die gesamte europäische Platte bis in den Jura überflutet wurde. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir hier nicht gelebt, außer vielleicht in einem U-Boot. Von diesem aus hätten wir allerlei marines Leben an unserer Stelle beobachten können. Von winzigem Plankton, über kleine und große Fische, Tintenfische, Krebse und Muscheln, hätte eigentlich fast alles genau so ausgesehen, wie man es auch aus heutigen Meeren kennt. Nur Wale und Delfine hätten wir nicht entdeckt. Dafür aber eine Vielzahl an marinen Reptilien wie die langhalsigen Plesiosaurier, kurzhalsige Pliosaurier und möglicherweise sogar die rätselhaften, riesigen Ichthyosaurier. An der Grenze zwischen Trias und Jura kam es dann aber zu einem Massenaussterben, bedingt durch komplexe Umweltveränderungen in enger Verbindung mit Magmatismus. Am schlimmsten traf es die riesigen Ichthyosaurier, die letztlich ausstarben. Kleinere Arten und andere marine Reptilien wie Plesiosaurier waren anscheinend weniger stark betroffen. Die meisten der großen Meerestiere des Erdmittelalters, dem Mesozoikum, sind bis heute ausgestorben.
 

Eigens von Marcello Perillo angefertigte Rekonstruktion einer Ichthyosaurier-Leiche zur Zeit des Rhaetium
Eigens von Marcello Perillo angefertigte Rekonstruktion einer Ichthyosaurier-Leiche zur Zeit des Rhaetium
 

 

Im vergangenen Jahr reiste Perillo das erste Mal nach Bristol, um im Naturkundemuseum vor Ort die Exemplare der marinen Reptilien genauer untersuchen zu können. Die Proben sind gut – viele sind nur Fragmente von einzelnen Knochen, doch einige sind fast komplett erhaltene Rippen, Unterkiefer oder Wirbel. Die Proben, mit denen Perillo arbeitet, sind gut beschrieben und lange bekannt. Das ist nicht immer so, denn Bristol und andere Städte wurden zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges stark bombardiert. Die Folgen für Stadt und Bürger waren verheerend und auch Fossilien wurden damals zerstört oder sind abhanden gekommen. Im Chaos gingen auch viele Dokumentation über sie verloren. Dazu zählen auch die Aufzeichnungen von Fundorten, die sehr wichtig für Interpretationen sind. Das erleichtert die Arbeit eines Paläontologen keineswegs.

Doch die Knochen – ob komplett oder nur Bruchstücke – erzählen noch ganz andere rätselhafte Geschichten. „Man kennt diese Knochen im Prinzip seit den Anfängen der Paläontologie. Viele Forscher haben sie früh beschrieben“, erzählt Perillo, der sich dabei auf verschiedenste Veröffentlichungen bezieht, die ihm Anstoß für seine Masterarbeit gaben. Eine Beschreibung aus 1912 ist von Friedrich von Huene. Er ist einer der bekanntesten deutschen Wirbeltierpaläontologen und zählte zu seiner Zeit als führender Experte für fossile Reptilien und Amphibien und befasste sich ebenfalls mit Ichthyosauriern. Bis heute hält er, neben seinen Erfolgen über Amphibien und Reptilien, den Rekord für das Studieren und Beschreiben der meisten Dinosaurierarten in ganz Europa und begründete die Paläontologische Gesellschaft 1912 mit. In seiner Arbeit „Der Unterkiefer eines riesigen Ichthyosauriers aus dem englischen Rhaetium“ beschreibt er einen Fund aus der Nähe von Bristol, der seit 1877 im städtischen Museum ruht. Der große, rechte Unterkiefer besteht aus vier Stücken, die sich nicht mehr komplett zusammenfügen ließen. Huene war sich dennoch sicher, dass sie alle zu ein und dem selben Tier gehörten und beschrieb die Verformung der Knochen in sehr interessanter Weise. Besonders erstaunt an diesen Knochen hat ihn, dass sie zum einen ein ungewöhnlich großes Tier voraussetzten, zum anderen viel älter waren und anders aussahen, als typische Unterkiefer jüngerer, jurassischer Ichthyosaurier.
 

 Marcello Perillo bei der Arbeit mit seinen mysteriösen Knochenfunden im Bristol Museum (Foto: M. Perillo)

„Das Problem, welches die riesigen Ichthyosaurier mit sich bringen, ist, dass es zu wenige diagnostische Merkmale gibt, um sie genau zu bestimmen. Wir können sie weder einer Art noch einer Gattung genau zuordnen. Vor von Huene hat man sogar lange geglaubt, es handle sich bei den Funden um riesige Amphibien, Dinosaurier oder sogar um uns unbekannte Tiere“, führt Perillo näher aus. „Aber die Histologie der Knochen zeigt uns eindeutig: hier geht es um Ichthyosaurier.“ Für eine histologische Analyse wird zunächst ein passendes Stück aus einem Knochen genommen. Dafür sägt man ein Fragment ab oder entnimmt einen kleinen Bohrkern. Diese werden dann mit Harz überzogen und poliert, um daraus später einen sogenannten „Dünnschliff“ zu machen. Dieser ist dann so dünn, dass er auf Glas geklebt und lichtdurchflutet unter dem Mikroskop mit verschiedenen Filtern betrachtet und unterschiedlich stark vergrößert werden kann. Auf solchen Ebenen kann viel Information aus dem Knochen herausgelesen werden.

Damals besuchte Marcello Perillo auch den Fundort der Knochen in der Nähe von Bristol. Aust Cliff ist eine gut aufgeschlossene Klippe, die Material aus der Zeit des Rhaetium, also der obersten Trias, enthält. Ziemlich direkt an und unter der Severn Bridge gelegen, ist die Klippe nicht unbedingt einladend, doch als wichtiger Aufschlussort wohl bekannt. Perillo hielt engen Kontakt mit dem Museum in Bristol und entschied sich, in diesem Jahr eine etwas aufwendigere Reise nach Großbritannien zu unternehmen. Zunächst reiste er nach London ins Naturkundemuseum, wo er auf mehreren Etagen auch eine magisch anmutende Sammlung an marinen Reptilien vorfand. Danach sollte es weiter nach Bristol gehen, um an seiner Arbeit zu feilen.
 


Ein Blick auf die Klippe in Aust Cliff mit Schichten aus dem Rhaetium (Foto: M. Perillo)
 

Doch Marcello Perillos Interesse hatte sich bereits herumgesprochen und so bekam er einen Anruf von privaten Sammlern in Swindon. Genau auf dem Weg von London nach Bristol gelegen, machte er dort einen Zwischenstopp und kam auf Einladung des Sammler-Pärchens mit auf Fossiliensuche. „Auch wenn viele Wissenschaftler nicht immer so denken, finde ich, dass private Sammler unglaublich wichtig sind. Natürlich ist es immer schade, wenn wertvolle und interessante Fossilien in privaten Händen nie wieder ans Tageslicht kommen und dem Rest der Welt vorbehalten werden. Doch die meisten Sammler, die ja in der Regel keinen wissenschaftlichen Abschluss haben, sind mit Leidenschaft dabei und wissen nicht nur genau so viel über ihre Funde wie Akademiker, sondern legen oft überhaupt erst den Grundstein für tiefgreifende Forschungsarbeiten. Sie können das leisten, was wir nicht schaffen“, sagt der Masterstudent der Uni Bonn. Meistens ergänzt sich das Wissen von Forschern und Privatsammlern sehr gut und so bat das Pärchen Perillo um Einschätzungen bezüglich ihrer Ichthyosaurier-Funde.

Marcello Perillos Ausflug nach Großbritannien war damit aber noch längst nicht abgeschlossen. Da er schon im vergangen Jahr in Aust Cliff, dem Fundort der Untersuchungsobjekte, war, verstand es sich von selbst, weitere Klippen an den Küsten Englands zu inspizieren. Nach einem ausgedehnten Besuch des „Bristol Museum and Art Gallery“ ging es zunächst in die Grafschaft Dorset, im Südwesten des Landes. Hier ist die berühmte „Etches Collection“ – eine Sammlung, die mehr als 2500 Fossilien des Kimmeridge Bay, einer anliegenden Küstenlinie, pflegt und ausstellt. Der Gründer, Steve Etches, verfolgte neben seinem Beruf als Klempner eine Leidenschaft für das Sammeln von Fossilien und begann vor 35 Jahren mit seiner herausragenden Auslese, die heute das „Museum für jurassisches, marines Leben“ bildet. Das Museum liegt nur 300 Meter von der Küste, an der allerlei an marinen Reptilien, Fischen, Flugsauriern und Ammoniten gefunden wurden. Unter den Funden waren sogar Ammoniten mit eindeutig zerfressenen Schalen, die von Räubern, wie den marinen Reptilien und großen Tintenfischen, stammen. Daneben gab es auch Funde von Mageninhalten und sogar Ammoniteneiern – sehr wertvolle Erhaltungen, die uns über die Lebensweisen der Tiere aufklärt.
 


Ein Blick auf Kimmeridge Bay, wo Schichten des Jura bis in die untere Kreide-Zeit aufgeschlossen sind (M. Perillo)
 

Die Funde sind zwar toll, verraten Perillo allerdings nicht viel über seine spättriassischen Ichthyosaurier, die älter sind als das, was die Küste von Kimmeridge bieten kann. Am Blue Anchor Bay, einer anderen Küstenlinie in Somerset, kommt er seinen „riesigen Schatten“ allerdings näher. Die Gesteinsschichten der Klippe beinhalten unter anderem diesselbe Schicht, die es in Aust Cliff zu finden gibt und genau die Zeit widerspiegelt, die Perillo untersuchen möchte. Zwar darf man laut britischem Gesetz nicht an den Felswänden hämmern und muss warten bis Stücke von selbst hinunterfallen, doch das stört nicht, denn das Gestein hat einiges zu bieten.

 


Klippe am Blue Anchor Bay, wo die roten Schichten (rechts) zur oberen Trias gehören und die blauen Schichten (links)
zum unteren Jura. (M. Perillo)
 

„Ich empfinde große Freude, wenn ich an die Zeit denke als ich mich noch ganz am Anfang meiner Karriere befand. Den Fortschritt zu sehen, den ich gemacht habe, erfüllt mich. Ich kann mittlerweile eigenständig histologische Arbeiten vornehmen und habe mich so spezialisieren können, dass nicht nur ich, sondern auch andere etwas damit anfangen können,“ sagt uns Perillo in seinem eigenen Fazit. „Die Zukunft bleibt jedoch wie so oft ungewiss. Heutzutage fehlen viele finanzielle Mittel, oft wird an wichtigen Teilen gespart. Junge Paläontologen haben Probleme, eine gute Stelle zu finden und man muss sehr flexibel sein. Das Wichtigste ist allerdings immer, dass man mit Leidenschaft dabei ist.“

Die Leidenschaft und Begeisterung des jungen Paläontologen ist spürbar und wir wünschen Marcello Perillo das Beste für seinen weiteren Werdegang!

 

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