93. Jahrestagung der Paläontologischen Gesellschaft - Paläontologen der Uni Bonn präsentieren ihre Arbeit in Stuttgart
Das Museum am Löwentor in Stuttgart – hier tagte die Paläontologische Gesellschaft vom 20. bis 22. September diesen Jahres. Als Interessenvertretung der Paläontologie in Deutschland erwartet die Konferenz ein breites Publikumsspektrum und viele anregende Vorträge und Diskussionen zu wissenschaftlichen Arbeiten und neuen Errungenschaften auf diesem Gebiet. Auch Paläontologen der Universität Bonn reisten für diese Tagung in die Landeshauptstadt Baden-Württembergs.
Die Paläontologische Gesellschaft, mit Sitz in Frankfurt am Main, erweitert durch Tagungen und andere Veranstaltungen den gemeinsamen Wissensaustausch und ermöglicht eine interne Vernetzung von Mitgliedern. Der gemeinnützige Verein wurde 1912 in Greifswald gegründet und hat es sich schon damals zum Ziel genommen, die Bedeutung paläontologischer Forschung in Öffentlichkeit und Politik hineinzutragen. Neue Mitglieder, besonders junge Menschen, sind ausdrücklich willkommen und sollen ebenfalls Einblicke in den Verein erlangen. Master-Studenten und Doktoranden kamen zahlreich und präsentierten ebenfalls ihre Arbeiten.
Am Dienstagmorgen, den 20.09.22, begann die Tagung mit einer Eröffnungszeremonie im Staatlichen Naturkundemuseum „Museum am Löwentor“ in Stuttgart.
Am Mittwochvormittag hielt dann Prof. Thomas Martin aus Bonn mit den Ko-Autoren Dr. Achim Schwermann aus Münster, Prof. Alexander Averianov aus St. Petersburg und Dr. Julia Schulz, ebenfalls aus Bonn, einen Vortrag über früh-kreidezeitliche Säugetiere aus Balve-Beckum. Der LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) führt unter der Leitung Dr. Achim Schwermanns seit vielen Jahren Grabungen in Balve-Beckum, einem Ortsteil der Stadt Balve im Sauerland, durch. In Zusammenarbeit mit der Universität Bonn sind dabei viele Tonnen Sediment abgetragen und ausgelesen worden, die neben Fragmenten von Schildkröten, Krokodilen und Dinosauriern auch andere wichtige Spuren liefern – Säugetierzähne. Diese sind besonders artspezifisch und helfen Säugetier-Paläontologen bei der Bestimmung der Alter vieler Sedimente. Am Wichtigsten ist es allerdings, dass sie Auskunft über die Entwicklung unserer einst Maus-großen Vorfahren geben.
![]() Unterkiefer des neuen unterkreide-zeitlichen Säugetiers „Beckumia sinemeckelia“ aus Balve (Abbildung aus Martin et al. (2022), Acta Palaeontologica Polonica 67) |
Balve-Beckum ist ein spannender Ort, wenn es um die Entwicklung früh-kreidezeitlicher Säuger geht, denn diese Funde sind in Europa sehr selten. Bis vor Kurzem waren sie noch auf den Westen und Südwesten des Kontinents beschränkt. Balve-Beckum liefert zum ersten Mal Einblicke in die urzeitliche Säugetier-Welt der frühen Kreidezeit in Mitteleuropa. Die Ergebnisse der Grabung zeigen, dass die frühen Säugetiere deutlich diverser waren als bislang angenommen. Zudem ist interessant zu beobachten, wie sich die Tiere damals, als Mitteleuropa zu großen Teilen geflutet war und hauptsächlich aus Inseln bestand, entwickelt haben. Noch am selben Nachmittag traten Angehörige des Bonner Instituts dann erneut auf die Bühne und begeisterten das Publikum mit einem Vortrag über ein Thema der Mikropaläontologie. Untersuchungsobjekte sind in diesem Feld mikroskopisch kleine Lebewesen, die oft nur aus einer einzigen Zelle bestehen. Foraminiferen sind eine Gruppe solcher wichtigen Einzeller und kommen hauptsächlich in unseren Ozeanen vor, wo sie als Plankton im Meer treiben oder als Benthos am Meeresboden leben. Und sie sind das Steckenpferd von Prof. Dr. Martin Langer und seinem Doktoranden Yaroslav Trubin. |
Die beiden Mikropaläontologen untersuchen Foraminiferen aus den Küsten des Oman. Dort leben die einzelligen Tierchen im flachen, warmen Wasser und erhalten die Stabilität des Ökosystems vor Ort. Eigentlich vermischen sie sich hier mit Arten des Roten Meeres und des Indischen Ozeans. Doch an der Ostküste Afrikas fehlen einige typische Arten dieser eigentlich massenhaft vorkommenden Einzeller. Grund dafür sind sogenannte „Upwellings“ – wenn kaltes Meerwasser aus der Tiefe aufsteigt. Normalerweise sind kalte und warme Schichten des Wassers durch Dichteunterschiede voneinander abgegrenzt, doch durch saisonal bedingte Upwellings wird diese Grenze durchbrochen. Das geschieht immer häufiger und stärker, was dazu führt, dass sich das warme, nährstoffärmere Wasser, an welches sich die Foraminiferen gewöhnt haben, mit dem kalten Meerwasser aus der Tiefe vermischt. Nicht nur die Temperatur, sondern auch die vielen Nährstoffe bekommen einigen Foraminiferenarten nicht. Für Foraminiferen, die diese unangenehmen Bedingungen überleben, stellen die kalten Meeresströme aber trotzdem eine Barriere dar, wegen der sie sich nicht ausbreiten können.
Yaroslav Trubin während seines Vortrages über die Foraminiferen aus dem Oman
Diese Upwellings nehmen großen Einfluss auf die Stabilität von Küstenökosystemen. Prof. Dr. Martin Langer und Yaroslav Trubin beobachten die Foraminiferen aus dem Oman und versuchen die Komplexität ihrer Umwelt zu verstehen. Dazu vergleichen sie sie mit Foraminiferen von den Malediwen, Chagos Islands - dem sogenannten „Korallendreieck“ an der Grenze zum Pazifik - und aus Ostafrika.
„Foraminiferen gibt es seit über 560 Millionen Jahren und wir finden sie fast überall dort, wo Wasser ist“, erklärt Yaroslav Trubin. „Die Ergebnisse unserer Arbeit mit modernen Foraminiferen sind nicht nur wichtig für unser Verständnis ihrer Lebensweise und unserer Umwelt heute. Sie geben uns auch die Möglichkeit, fossile Foraminiferen zu beurteilen und ihre Entwicklung und Verteilung nachzuvollziehen. Dank der Foraminiferen aus dem Oman können wir auch Rückschlüsse auf Upwellings in weiter geologischer Vergangenheit und die Reaktion der damaligen Foraminiferen darauf wagen.“
Am letzten Tag der Konferenz, dem 22.09.2022, berichteten die Bonner Paläontologen erneut von einer Arbeit zu Säugetieren. Sebastian Pommerening und sein Doktorvater, Prof. Dr. Thomas Martin, beschreiben in ihrem Vortrag die Kiefermechanik von Spitzmäusen und die Gelenke, die dabei eine wichtige Rolle spielen. Denn Säugetiere besitzen einen extrem effizienten Stoffwechsel, der nur durch die Aufnahme von Nahrung erhalten werden kann. Und selbst diese wird so effizient wie möglich gestaltet. Dafür entwickelten schon die Vorfahren der Säugetiere unterschiedliche Zahnarten, wobei jede von ihnen eine eigene Aufgabe, sprich Beißen, Schneiden und Kauen, erfüllt. Um solch ein Gebiss bewegen zu können, braucht es Gelenke. Interessant ist, dass die untersuchten Spitzmäuse ein doppeltes Kiefergelenk besitzen, welches eine breite Möglichkeit an Bewegungen bieten.
Durch umfangreiche Analysen und Untersuchungen, konnten die beiden Forschenden herausfinden, dass dieses spezielle Doppelgelenk im Kiefer der Spitzmäuse sowohl Gier- als auch Rollrotationen, also Drehungen um die Längs- und Hochachse, zulässt. Dies ermöglicht den kleinen Säugern eine intensive Zerkleinerung ihrer Nahrung und führt somit zu einer hohen Stoffwechselrate.
Neben Vorträgen der Paläontolgen aus Deutschland und aller Welt wurde im Ausstellungssaal des Staatlichen Naturkundemuseum in Stuttgart auf weitere Studien der Forscher mit Postern aufmerksam gemacht. Yaroslav Trubin stellte hierzu seine Ergebnisse zu einer anderen Studie über Foraminiferen vor. Diese Foraminiferen sind bereits fossil und stammen aus der Zeit des Paläogen (vor 66 bis 23 Millionen Jahren). Das Material für diese Studie wurde im Rahmen der UNESCO-Expedition nach Madygen in Kirgistan, an der Trubin ebenfalls teilnahm, ausgewählt. Untersuchen wollte er dabei die Entwicklung der Meere während des Paläogen, einer Zeit, die die dramatischsten und schnellsten Klimaveränderungen der Erdgeschichte hervorbrachte. Die Einzelheiten und Kettenreaktionen dieser Ereignisse, so hofft Trubin, können unsere Zukunft bezüglich des aktuellen Klimawandels besser berechenbar machen.
Yaroslav Trubin im Ausstellungssaal neben seinem Poster über paläogene Foraminiferen aus Zentralasien
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